
In die Sahara: Von der Steinwüste bis zu den großen Dünen
Tag 2 in der Wüste - der Wüste entgegen
Ich wache vom Rascheln der anderen Schlafsäcke auf und höre schon eifriges Flüstern von allen Seiten. Das warme Gelb der Sonne ist bereits am Horizont zu sehen. Ich genieße den Moment des behutsamen Wechsels von der Nacht zum Tag tief in meinen Schlafsack vergraben. Als die Sonne die Oberhand gewinnt, setze ich mich auf und noch in meinen Schlafsack eingewickelt, wasche ich mich (unter den Armen, Hände und Gesicht) mit feiner Orangenseife aus dem Riad Andala in Marrakesch. Ich nutze jeweils eine andere mit Wasser aus meiner Trinkflasche befeuchtete Ecke meines Handtuchs und behalte diese Routine an jedem Tag in der Wüste bei. So fühle ich mich frisch. Eine Fingerspitze Mandelcreme ist ausreichend und ich bin gepflegt für den neuen Tag. Mittlerweile ist mir wenigstens so warm, dass ich meine Nachtkleidung ausziehen und in meine Wüstenkleidung schlüpfen mag. Trotz Sonnenaufgang ist es im Tal noch kalt und ich bin dankbar, in Fleecejacke und Jogginghose frühstücken zu können.
Das Aufenthalts-Zelt wurde mittlerweile von den Berbern abgebaut und sie werkeln schon an den Lastkörben der Dromedare, während wir Teilnehmerinnen und Sâbin uns auf dem Teppich unter freiem Himmel am Fuße des Bergs Läusch zum feinen Frühstück mit Fladenbrot, verschiedenen Marmeladen, Schokocreme und Kiri dazu Tee und Kaffee oder auf Wunsch auch heißes Wasser niederlassen. Das Frühstück ist entspannt, wir haben keine Eile. Wir tauschen uns über unsere erste Nacht unter freiem Himmel aus und erfahren, dass wir heute zu Fuß über den Berg gehen werden, damit die Tiere den schmalen, steinigen Pfad ohne uns gehen können.
Der Aufstieg ist kurz und wir erreichen auf einem gut ausgetretenen Pfad in knapp einer halben Stunde den Bergrücken. Ein beeindruckender Ausblick erwartet uns hier: Am Fuße jenseits des Berges erstreckt sich eine Ebene mit immer kleiner werdenden Steinen. Es gibt kleine Sträucher, Ginster und Sahara-Akazien und schieferartiges Gestein, mal lose, mal in größeren Platten. Wir rasten oben auf dem Läusch und lassen unsere Karawane vorbei, die sich in langsamem, gleichmäßigem Trott vorwärtsbewegt.
Es ist heiß heute und ein trockener Wind bläst böig. Wir laufen auf die nächste Hügelkette zu und nach einer weiteren Stunde Fußmarsch kommen wir in einem Tal an, das links und rechts von Bergrücken begrenzt ist. Hier wachsen Sträucher und einige knorrige Akazien. Hier haben unsere Führer einen schönen Platz mit schattenspendenden Akazien ausgesucht. In Windeseile ist unser Teppich ausgebreitet und der obligatorische Minztee zubereitet. Während wir im Schatten sitzen und Tee und Nüsse genießen, werden routiniert die Dromedare abgeladen, das Küchenzelt aufgebaut und der Lagerplatz eingerichtet. Die Tiere können wieder frei herumtrampeln und sich ihr Futter suchen. Wir lassen die Strecke und den Marsch Revue passieren und schon werden wir mit Rührei mit Oliven und Salade marocaine mit Gurke, Tomate, Zwiebeln, Mais, Linsen, Salatblättern und Orangenscheiben verwöhnt.
Nach dem köstlichen Mahl ruhen wir im Schatten auf unseren Matten, bis wir von hektischem Getrappel kleiner Hufe aufschrecken. Ein Hirte zieht mit seiner Ziegenherde mit lauten „hei“ „ho“ Rufen und Pfiffen durch das Tal. Die kleinen Viebeiner stürmen meckernd unser Lager und suchen neugierig nach etwas Essbarem. Sâbin springt geistesgegenwärtig auf und verscheucht die Tiere, bevor sie unser Gepäck anknabbern können oder ihre Hinterlassenschaften auf unserem Ess-Teppich fallen lassen. Der Hirte hat sich mittlerweile bei Dauth, Bassis, Ismael und Hussein zu einer Kanne Tee und Geplauder niedergelassen.
Nach der Siesta erwarten uns Kaffee, Tee und frische Pfannkuchen mit Honig. Es kommt mir vor wie eine Schlemmerreise und ich genieße es in vollen Zügen, mir keine Gedanken über das Essen machen zu müssen.
Frisch gestärkt und ausgeruht haben wir den restlichen Nachmittag bis zum Sonnenuntergang zur freien Verfügung. Die Hitze hat merklich nachgelassen und so erkunden die meisten Teilnehmerinnen das Tal. Es bilden sich Gesprächspaare und Einzelgängerinnen, Gespräche werden fortgesetzt oder begonnen. Ich genieße es erstmal, zügig ins Tal zu laufen, mit der Vorstellung, nach der nächsten Biegung den Beginn der Sandwüste zu entdecken, doch eine Biegung nach der anderen zieht sich der Canyon und
tiefe Risse weisen auf die langanhaltende Trockenheit hin, die hier herrscht.
In unserer ursprünglichen Reisebeschreibung war für heute auch eine Oase mit einem Brunnen angekündigt gewesen, doch davon kann hier keine Rede sein, hier ist kein Tropfen Wasser. Sabin hatte uns das schon angekündigt, dass unsere erfahrenen Führer die Strecke immer den aktuellen Gegebenheiten anpassen würden. Die große Dürre ließ in diesem Jahr eben keine „Wüstendusche“ unter freiem Himmel zu. Ich freue mich, dass dies für keine der Teilnehmerinnen ein Thema ist, über das man klagen müsste.
So schön es auch ist, in einer Frauengruppe unterwegs zu sein und an all diesen spannenden Leben teilhaben zu dürfen, so sehr genieße ich auch meine Solo-Erkundungstouren mit viel Zeit für meine Foto-Entdeckungen. Diesmal nehme ich mir hinter einem Felsen erstmal viel Zeit, mich zu reinigen und Wäsche zu wechseln, denn untertags ist dafür trotz anhaltender Periode keine Zeit und ich muss improvisieren. Auch meinen Sonnengruß, den ich heute nach durchfrorener Nacht ausfallen ließ, praktiziere ich genussvoll in der Abendsonne auf einer Steinplatte.
Entspannt und aufgeräumt kehre ich zum Lager zurück, wo einige Frauen schon dabei sind, sich ihren Schlafplatz zu suchen und einzurichten. Ich liebe diese unaufgeregte Routine. Die Dinge reihen sich, wie von selbst, in einer stimmigen Reihenfolge aneinander.
„Seid vor Sonnenuntergang zurück“, lautet die Ansage, eine Uhr braucht hier niemand.
Heute läuft das Einrichten der Schlafplätze auch schon sehr viel strukturierter und zielgerichteter, denn wir wissen besser, worauf wir achten müssen (Löcher, Wind, Sonnenstand).
Das Abendessen wird heute im Salon „Aische“ serviert. Die Berber haben unsere Matten und Decken zu einer bequemen Sofaecke aufgestapelt, in deren Mitte der Teppich liegt. So sitzen wir windgeschützt und haben sogar eine perfekte Rückenlehne. Hier werden wir mit frisch gebackenem Fladenbrot aus dem Holzfeuer verwöhnt. Es gibt frischen Salat, dazu Fleischspieße und Zimtreis mit schwarzen Oliven. Als Nachspeise Äpfel.
Dauth, Bassis, Hussein und Ibrahim sitzen unweit von uns am Lagerfeuer und essen auch Ihre Fleischspeise. Das fühlt sich gut an. Später, nachdem Sâbin uns von Akazien, dem Fennek und den Sahara-Schmetzern vorgelesen hat, stimmen die Männer einen berberischen Wechselgesang an, den sie gekonnt mit leeren Wasserkanistern begleiten. Sie fordern uns auf, auch für sie ein deutsches Lied zu singen, und wir versuchen uns an drei, vier Lagerfeuerklassikern. Das ist nicht perfekt, wir haben aber durchaus Freude daran. Lieber aber singen die Männer selbst und wir hören zu.
Als das Feuer kleiner wird, machen wir uns auf in Richtung unserer Schlafplätze und benötigen auch heute keine Stirnlampen, denn der mittlerweile volle Mond leuchtet wie ein Stadion-Flutlicht das Tal aus. Die Dromedare lagern heute unweit unserer Matratzen und knabbern weiter an den Sträuchern. – Diese Nacht ist dank der windgeschützten Lage unseres Lagerplatzes deutlich milder und so kann auch ich heute gut schlafen.
Tag 3: Nomaden und Dünen
Als ich aufwache, sind die Early Birds unserer Gruppe bereits angezogen. Meine Katzenwäsche im Schlafsack behalte ich bei. Sorgfältig creme ich Gesicht, Handrücken und Schienbeine ein, denn heute reiten wir wieder und dabei sind diese Körperstellen besonders der Sonne ausgesetzt.
Wir frühstücken im „Salon Aische“ unter freiem Himmel mit dem restlichen Fladenbrot von gestern und ohne Eile. Derweil kümmern sich unsere Berber um alles andere, ein Handgriff ergibt den nächsten und bald schon ist das Lager abgebaut, die Dromedare sind beladen und marschbereit. Nun sind wir dran, unser Dromedar mit Matte, Flockati, Decke und Kirschkernkissen zu satteln. Nach der Erfahrung des ersten Tages weiß ich, wie ich sitzen möchte, und mein Heddou lässt die Zeremonie nach ausgiebigem Halskraulen ruhig und geduldig über sich ergehen. Bald schon können wir alle aufsteigen und tatsächlich sitze ich heute perfekt.
Heddou und ich bilden heute das Ende der Karawane und so kann ich vom Rücken des Dromedar-Hengstes aus unseren ganzen Tross überblicken, der märchenhaft bunt bedächtig aus dem Tal heraus reitet.
Nach etwa einer Stunde haben wir das Ende des Canyons erreicht und gelangen auf eine flache Ebene mit lauter kleinen Steinen und Geröll, deren Farbe in der Ferne vom Grau-Braun in sandiges Gelb übergeht.
Auf dieser Ebene wartet eine Überraschung auf uns: Wir dürfen eine Hirtenfamilie besuchen, die hier in der Steinwüste in zwei Lehmhütten und einem Zelt mit ihren Tieren (Ziegen, Dromedare und Katzen) lebt. Hussein führt uns zu Ihnen. Er begrüßt eine ältere und eine jüngere Frau und diese führen uns in ihr Zelt, das kunstvoll aus alten Kleidern und Planen zusammengestückelt ist. Hier wird uns Tee mit Fladenbrot und Olivenöl serviert. Hussein übersetzt unsere Fragen.
Wir kaufen bei der jüngeren Frau selbstgemachten Schmuck und kleinere Handwerkserzeugnisse und bedanken uns herzlich für die Gastfreundschaft.
Ich kaufe einen schönen Messingarmreif für 20 Dirham, er sieht hübsch aus und ist eine schöne Erinnerung.
Die Karawane ist schon vorausgegangen und Hussein führt uns nun zu Fuß ohne weitere Umwege in die Sahara.
Anfangs sind es vereinzelte Sandhäufchen mit den typischen Windrillen, die sich hier und da zwischen den Steinen häufen, doch bald werden sie höher und mehr und wir marschieren von Sandhügel zu Sandhügel.
Uns fallen schnell Unmengen verschiedener winziger Spuren auf und schon sind wir wieder in einer völlig anderen Welt.
Natürlich ist auch das heutige Lager an einem perfekten Ort: Unter einer riesigen Tamarinde, die ihre Äste weit ausbreitet, entdecken wir die Karawane.

Die Männer laden auch heute die Sättel und Körbe mit unserem Gepäck, die Zelte, unseren Teppich und all das Küchenmaterial ruhig, mit routinierten Handgriffen ab und noch ehe wir uns an unserem neuen Rastplatz grob orientiert haben: Pipi? Schlafen? Mond? Wind? Erkundungstour? Sind die Zelte bereits aufgebaut, der Salon mit Teppich, Matten und Decken eingerichtet und wir können unsere nachmittägliche Schlemmerrunde starten … Minztee mit Nüssen und Rosinen zum Ankommen, dann üppiger Salat maroccaine mit Fladenbrot. Cola, Schweppes und Wasser komplettieren das Menü.
Dann, auch das schon eine angenehme Routine, die von allen gerne angenommen wird:
Mittagsruhe. Schlafen, Lesen, Flüstern, Schreiben. Die Gespräche werden schnell träge und verstummen bald ganz.
Ein leicht böiger Wind treibt am Horizont Sandschwaden vorüber, der Himmel ist leicht bewölkt und die Sonne von feinem aufgewirbeltem Sand verschleiert. Im Schatten lässt es sich so gut aushalten.
Nach genau der richtigen Weile erklingt der Ruf zum Kaffee, der in einer großen Metallkanne serviert wird, dazu frische Pfannkuchen mit Honig.
Es schmeckt köstlich, wie sollte es auch anders sein, hier 24 Stunden draußen unter freiem Himmel.
Die Regeln für unsere heutigen Erkundungstouren sind schon etwas strenger, denn wir haben die Weite der Wüste hier in den kleinen Dünen von Grisima erreicht. Es macht Sinn, sich nur in Sichtweite des Lagers zu bewegen und die Richtung anzugeben, in die wir uns entfernen.
Schnell bin ich verzaubert von den unendlichen Formen, die Wind und Sand zaubern, von den zarten, reliefartigen Spuren, die die Wüstenbewohner hinterlassen.
Skarabäus-, Schwarzkäfer-, Wüstenspringmaus- und Antilopen-Spuren haben wir heute schon gesehen. Auch Riesenraupen, Ameisen und Wüstenschmätzer. Die Käfer zaubern wunderschöne Muster in den Sand, die aussehen wie filigrane Ketten und Girlanden. Der Wind wirft atemberaubende Strukturen auf, die in der Abendsonne ein unglaubliches Schattenspiel entwickeln. Ich versuche bewusst alles tief in mir abzuspeichern und zu fotografieren, doch die wahre Schönheit gehört dem Augenblick und wird kaum festzuhalten sein.
Ich finde Ruhe für meinen Sonnengruß und eine kurze Meditation.
Viel zu schnell geht die Sonne unter und die Abendroutine ruft. Auf dem Weg zurück zum Lager kommen mir einige der anderen Frauen entgegen, alle bester Laune, und sofort sind wir in angenehme Gespräche vertieft.
Erstaunlich ist, dass, obwohl wir den ganzen Tag in der Hitze unterwegs sind, die kleine Katzenwäsche, bestehend aus dem Nass einer befeuchteten Handtuchecke mit Orangenseife, völlig ausreicht, um sich frisch zu fühlen. Stirnband und geflochtener Zopf ersetzen die Haarwäsche. So wenig kann also genug sein.
Die Männer haben heute ein feines Couscous mit gelben Rüben, Kohlrabi, Paprika und Oliven gezaubert. Es schmeckt köstlich und ich staune, wie frisch all das Gemüse, der Salat und das Obst auch noch am dritten Tag sind. Heute essen unsere Guides mit uns, was nochmals ein schöneres Gefühl von Gemeinschaft gibt. Sâbin liest uns nach dem Abend-Mahl über die marokkanischen Frauen vor und obwohl ich es sehr interessant finde, bin ich bald eingenickt.
Heute steht der Mond schon seit dem späten Nachmittag voll und strahlend am Himmel und wird uns wohl bis zum nächsten Morgen begleiten. Auch diese Nacht ist also von hellem, kaltem, silbernen Licht erhellt und wir schlafen fast alle unruhig. Erst ist mir heute zu warm und mit der dicken Kleidung, die ich gegen die Kälte anhabe, ist es zu eng im Schlafsack. Dann kommt böiger Wind, der viel feinen Sand über uns hinwegpustet. Gefühlt raschle ich die halbe Nacht mit meinem Schlafsack und den Decken und finde dennoch keine gute Schlafposition. Morgen muss ich der Auswahl der Schlafposition wieder mehr Aufmerksamkeit schenken! Auch die Tiere sind heute unruhig und ich sehe ein fuchsgroßes Tier zwischen ihnen herumschleichen, auch ein fremder Esel schleicht um unser Lager. – Vollmondträume begleiten dann auch noch mein bisschen Schlaf, so dass ich froh bin, als die Morgendämmerung das kalte Mondlicht ablöst.
