
Mit Frauen unterwegs: Kameltrekking in Marokko – Teil 2 Zagora und die Wüste Sahara
Aus Zagora in die Wüste
Mittwoch, 21.2.2024 Tag 1 in der Wüste
Es ist noch dunkel, als mein Wecker klingelt. In dieser Nacht bin ich im Halbschlaf noch lange mit der Kleiderauswahl für die Wüste beschäftigt: Stimmt der Schnitt der Hose für das Reiten auf einem Dromedar? War es wirklich eine gute Idee, den schwarzen Chech für die Wüste zu wählen? Dazu die fröhlichen Touristen im Innenhof des „Le Fibule“, die noch lange trinken und lachen. Als der Muezzin sehr verhalten singt, bin ich schon lange wach und in meine Morgenroutine vertieft.
Fünf Minuten vor der Frühstückszeit tappe ich im ungewohnten Wüstenoutfit mit meinem Wüstengepäck zur Rezeption. Die vielen Räume und gemütlichen Ecken mit Sofas und Kissen und auch der große opulente Frühstücksraum mit Springbrunnen liegen verschlafen im Dämmerlicht. Das ganze Hotel scheint noch in tiefem Schlaf zu liegen. Hinter der Rezeption rappelt sich jemand auf, als ich mein Gepäck abstelle, und ruft mir mit verschlafener Stimme etwas auf Marokkanisch zu.
Sâbin hat erzählt, dass die meisten Marokkaner keine Morgenmenschen sind. Das bestätigt sich hier, aber nach wenigen Minuten ist ein köstliches Frühstücksbuffet hergerichtet. Es gibt süßen, sehr aromatischen und sehr saftigen Hefekuchen, handtellergroße Plätzchen mit Schokoladenkern, süße Brötchen und dazu Marmelade. Aber auch frisch gebackene Pfannkuchen, Ei, Oliven, Tomaten und Fladenbrot. Die Stimmung im menschenleeren, opulenten Speisesaal erinnert mich an das rituelle Aufstehen und Frühstücken vor einem Ironman. Jeder Handgriff ist mehrfach durchdacht und geplant. Die Anspannung und Vorfreude flattern wie Schmetterlinge in meinem Bauch und kitzeln mich in der Kehle.
Fürstlich gestärkt werden wir nach dem frühen Frühstück von gut gelaunten Berbern in traditionellen Gewändern mit verbeulten Jeeps abgeholt. Wir werden herzlich lachend mit „Bonjour ça va?“ begrüßt. Mit lauter arabischer Musik und guter Laune brausen wir zum eine Stunde entfernten Fuß des Hügels Tara am Rande der Wüste, wo uns endlich unsere Guides mit den Dromedaren erwarten, die uns in den nächsten acht Tagen durch die Wüste führen sollen.
Auch diese Männer begrüßen uns überschwänglich und lachend. Sie verstauen routiniert unser Gepäck in den großen Bastkörben, die jedes Tier trägt. Dann wird es spannend: Wir acht Frauen stehen den Dromedaren gegenüber und jeder Teilnehmerin wird nach einem eindringlichen Blick ein Dromedar zugeordnet. Wir erfahren den Namen unseres Tiers und werden in den folgenden Tagen ein Team sein. Mein Gefährte trägt den Namen Heddou, ist nicht mehr ganz jung und genießt es bald, von mir tief in seiner verfilzten Wolle gekrault zu werden.
Aber nun heißt es erstmal, aus zwei schweren Wolldecken, einem noch schwereren Flickenteppich und einem Kirschkernkissen einen Sattel aufzuschichten und den Tagesrucksack am Tragegestell zu befestigen, denn gleich soll es losgehen.
Die Dromedare knieen vor uns und mithilfe eines Berberknies als Tritt schwinge ich mich auf Heddou, halte mich gut fest und als er auf Kommando ruckartig mit den hinteren Beinen zuerst aufsteht, habe ich das Gefühl, kopfüber herunterzupurzeln. Besser wird es, als Heddou sich auch vorne zu seiner vollen Größe erhebt. Ich habe eine spektakuläre Sitzhöhe und sitze für’s Erste recht komfortabel.
Als sich unsere Karawane dann aber in Bewegung setzt, staune ich doch, wie unrhythmisch sich der Gang des Tiers auf dem Rücken anfühlt. Sofort scheuert der Teppich an meinen Oberschenkeln durch die dünne Hose und durch das ständige Nach-vorne-Rutschen im breiten Sitz ist mir sofort klar, dass das so nicht lange gut geht. Ich nehme beim Reiten einige kleine, aber entscheidende Veränderungen an meiner Sitzposition vor: Kirschkernkissen vor das Schambein, damit ich nicht mehr abwärts gegen den Haltegriff rutschen kann, und die Beine so eng wie möglich an den Hals des Tiers. Voilà, nun bin ich eine Einheit mit meinem Heddou und kann mit ihm in Einklang weiterschaukeln.
Nach einer ersten „Orangenpause“ (Mandarinen mit Datteln, dazu Wasser) kann ich ganz entspannt sitzen und habe endlich Muße, meinen Blick schweifen zu lassen. Noch sind wir in leicht hügeligem, teils steinigem Gelände mit kleineren Bäumen und Sträuchern unterwegs. Wir begegnen einer Nomadenfamilie, die mit Kind, Hund und Esel und ihren Ziegen unterwegs ist. Ich sehe, wie einer unserer Guides dem Kind Mandarinen und Datteln zusteckt.





Mittlerweile brennt die Sonne auch schon im Gesicht, auf dem durch das Halten am Sattelgriff exponierten Handrücken und auf den Beinen, wo die Hose hochgerutscht ist. Ein lauer Wind bringt zwar angenehme Kühlung, dennoch bin ich erstaunt, aber nicht abgeneigt, als es am frühen Nachmittag von Sâbin heißt, wir hätten nun in einer ebenen Fläche am Fuße des Bergs Läusch den Platz für unser Nachtlager erreicht.
Die Dromedare müssen sich einer nach dem anderen auf das Kommando „Uuuuuutsch“ hinknien. In dieser kurzfristigen Schräglage bemerke ich, wie mir ein großer Schwall warmer Flüssigkeit an den Oberschenkeln herunterläuft. NEIN, NICHT JETZT, denke ich… Meine Periodenblutung, die schon in den Tagen in Marrakesch meine volle Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hat, hatte in Zagora mal für einen Tag ausgesetzt. Durch das Schaukeln auf dem Dromedar und die gespreizte Sitzposition hat sich nun anscheinend trotz Sicherheits-Tampon ein großer Schwall Blut auf den Weg gemacht. Meine neue Pantalon climatisé, die ich auf dem ganzen Trek tragen will, ist mit einem großen Blutfleck verziert. Der Teppich und auch die Decke, auf der wir sitzen und uns in der Nacht zudecken sollen, ist voller Blut. Mir bleibt nichts anderes übrig, als hinter einem Ginsterbusch zu verschwinden, die Unterwäsche und o. b. im vorausschauend mitgebrachten Hundekotbeutel verschwinden zu lassen und mein Trinkwasser zum notdürftigen Auswaschen meiner Hose und des „Sattelzeugs“ zu verwenden.
Als ich das Lager erreiche, ist meine Stimmung mäßig. Ich fühle mich mental erschöpft, als mir bewusst wird, dass DIESES Thema mir wohl nun auch in der Wüste erhalten bleiben würde. Die Daut, Basis, Ismael und Hussein haben bereits die Tiere abgesattelt, sie mit zusammengebundenen Beinen zum Grasen in die Ebene entlassen, unser Gepäck aufgestapelt und zwei Zelte (Küche und Speisesaal) aufgebaut. Als mir eine der Mitreisenden ohne viele Worte eine Reise-Wäscheleine anbietet, um hinter dem Zelt meine nasse, fleckige Hose zu trocknen, spüre ich den Spirit, der unsere Reisegesellschaft auch in den nächsten Tagen begleiten wird, und ich kann mich ein wenig entspannen. Es ist eine schöne Mischung aus Miteinander und Füreinander: so viel wie nötig und erwünscht, aber gleichzeitig so viel gegenseitiges Seinlassen und Freiraumgewähren, wie möglich.
Unser „Salon“, in dem wir es uns gemütlich machen, besteht aus einem Zelt, in der Mitte ein großer Teppich (unser Tisch), rundherum die Matratzen, die schon auf jedem Dromedar als Polster gedient haben, dazu die Decken zu Kissen gefaltet als Lagerungshilfe. Die Teppiche liegen außen um den Matratzenkreis, damit man seine Schuhe ausziehen und abstellen kann. Die Seitenwände sindteils hochgewickelt und so ergibt sich ein luftiger und schattiger Ort, an dem wir schnell mit Tee und Nüssen bewirtet werden. Auch unser Mittagessen, bestehend aus leckerem salade marocaine mit Fladenbrot, geniessen wir hier. Orangenviertel runden das köstliche Menü ab.
Danach ruhen wir lesend, redend oder schlummernd auf den Matratzen.
Am späten Nachmittag zieht es die meisten von uns nach draußen. Wir wollen unseren Lagerplatz und das Tal erkunden. Jede findet, was und wen sie braucht, manche gehen alleine, andere in Zweier- oder Dreiergrüppchen. Manche gehen alleine los und kommen ins Gespräch vertieft zu zweit zurück. – Ich muss mich erstmal bewegen und schreite schnellen Schrittes auf den Trampelpfaden der Nomaden das Tal entlang, versuche Luft und Licht in mich aufzusaugen und in Ruhe wahrzunehmen. Versuche wirklich zu sehen, was hier ist, und zu spüren, was es mit mir macht. Ich erkunde ein teils zerfallenes Steingebäude, das wohl als Schutzhütte gedient hat und in dem auch hier anscheinend unvermeidlicher Zivilisationsmüllist. Mich gruselt, als ich den Schuh eines Kleinkindes entdecke, einen Frauenschuh, und daneben die Reste von Tierfell und -knochen. Auf dem Rückweg überlege ich, was hier wohl passiert ist.
Die Dromedare tauchen überall hinter den Hügeln auf, wo Sie von Basis heimgetrieben werden.
Unsere vier Guides sind Daût, ein spindeldürrer, braungebrannter Nomade, uns Basis, immer fröhlich mit einem aufmunternden „isch guad!?“, von denen Sâbin sagt, sie seien bei weitem nicht so alt, wie sie aussehen, und Ismael und Hussein, die Jüngeren.
Sie werkeln im Küchenzelt, das gleichzeitig Ihr Aufenthaltsraum und Ihre Unterkunft auf unserem Trek ist.
Für uns heißt es zum ersten Mal, zeitig einen Schlafplatz ausfindig zu machen und einzurichten.
Die Kriterien dabei sind:
nicht zu nah an Steinen oder Resten von Steinmauern wegen der Skorpione,
nicht auf einem Trampelpfad (wer weiß, wer oder was den Pfad in der Nacht nutzt).
Weit genug weg vom Lager, um ungestört schlafen zu können,
nicht zu weit weg, um noch in Sicht- und Rufweite zu sein.
Nah genug an einem Toilettenplatz,
aber auch nicht zu nah, um den anderen, die diesen Platz auch nutzen könnten, genug Intimsphäre zu lassen.
Flach und möglichst ohne Steine sollte es sein. –
Erst stehen wir etwas ratlos herum, doch erstaunlicherweise findet jede noch vor der Dämmerung ein Plätzchen. Alleine oder zu zweit oder zu dritt nebeneinander, wie die sympathischen drei Frauen aus Köln oder auch etwas weiter weg, jede nach ihren Bedürfnissen. – Wir markieren unser Schlafzimmer mit dem Flickenteppich legen unseren Rucksack oder die Tasche darauf, ziehen schon jetzt unsere Nachtkleidung an, denn später gibt es nur noch das Licht unserer Stirnlampen. Wir erledigen unsere Katzenwäsche und legen den Schlafsack bereit, der aber, um später darin keine ungebetenen Gäste vorzufinden, noch nicht ausgerollt wird. Später nimmt sich jede eine Matratze aus dem Salon mit und zwei der schweren Decken, die schon Teil unseres Sattelzeugs waren. unser Luxus ist ein frisch gewaschenes weißes Leinenlaken, das wir dann über die Matratze breiten können.
Mittlerweile dämmert es und wir werden von Sâbin zum Essen gerufen. Im Schneidersitz nehmen wir auf den im Kreis um unseren Teppich liegenden Matratzen Platz. Das Essen duftet. Hussein und Ismael sind für das Servieren zuständig, sie tragen die köstlichen Speisen ins Zelt und Sâbin verteilt jeden Abend die köstliche Harira (scharfe, dünne, sehr würzige Linsensuppe) mit Fladenbrot, Dahin mit Fleisch oder Gemüse. Dazu scharfe Harissa-Soße. Danach gibt es Verbenen-Tee. Es ist ein beruhigendes Ritual, bis auch die letzte ihre Plastikschale oder den Teller hat. Alles wird reihum weitergereicht und jede nach ihren Bedürfnissen gefragt (mehr oder weniger, scharf oder nicht scharf, mit oder ohne Nachschlag): einfach schön!
Die Männer waren am Nachmittag noch Wasser holen und haben das harte, trockene Akazienholz gesammelt. Mit viel Akribie wurde ein Loch gegraben, das mit Steinen gefüllt wird. Darauf wiederum wurde Holz aufgeschichtet, drumherum ein kleiner Wall mit Erde. Bald schon prasselt das Feuer und sie rufen „Aische“, wie Sâbins Wüstenname ist, um sie zu fragen, ob wir nicht auch am Feuer sitzen wollen. Wir wollen! „Isch grad?“ Werden wir gefragt: „Ca bien?“ oder „Alles gut?“ Wir bejahen einstimmig. Immer wieder stimmen sie ein Liedchen oder einen Wechselgesang an. Schokolade wird herumgereicht. Wir unterhalten uns in Zweier- oder Dreiergrüppchen und sind noch immer dabei, uns kennenzulernen. Die Gespräche drehen sich um Herkunftsort, Ausbildung und Beruf. Wir sind in positivem Sinne. Neugierig aufeinander. Es fühlt sich gut an, hier zu sein.
Gegen zehn ist das Feuer fast heruntergebrannt und wir machen uns im kalten Licht des fast vollen Mondes mit den Matratzen und Decken auf zu unseren vorbereiteten Schlafplätzen, bereit für unsere erste Nacht unter freiem Wüstenhimmel.
In vollem Vertrauen auf meinen extra neu gekauften Schlafsack habe ich nur ein dünnes Funktionsshirt, eine dünne Jogginghose und Wollsocken an. Pipi mache ich hinter dem nächsten Felsbrocken, die Zähne putze ich mit einem Schluck Wasser direkt neben meinem Teppich – fertig. Sobald ich es mir in meinem Schlafsack gemütlich gemacht habe, spüre ich einen leichten, aber eisigen Luftzug an Schultern und Gesicht. Ich krieche tief in meinen Schlafsack und bereue schnell, dass ich nur eine Decke vom Salon mitgenommen habe. Ich wickele die Decke fest um meinen Schlafsack, dennoch ist und bleibt es mir bitterkalt. Nasenspitze und Wangen sind eiskalt und selbst das Atmen in den Schlafsack hilft immer nur kurz. Mein Mantra: Es ist nur kalt, nicht schlimm, Du kannst Dich trotzdem ausruhen. An Schlaf ist kaum zu denken und ich bin froh, als die Dame Morgendämmerung die kalte Mondnacht allmählich ablöst.














