Reisen

Mit Frauen unterwegs: Kameltrekking in Marokko – Teil 1 Marrakesch und Atlasgebirge

Ich hatte Zeit, ich hatte Geld und ich wollte reisen, idealerweise alleine reisen und dennoch nicht alleine sein.

Warum nicht eine Frauenreise buchen? Vielleicht würde ich dort auf interessante Gleichgesinnte treffen und könnte mich auf den beruhigenden Rückhalt einer organisierten Reise verlassen!

Ich würde im Februar nach Marokko, ins Land der Berber und des Arganöls fliegen, Marrakesch erkunden, Souks und Moscheen sehen und die Straße der 1000 Kasbahs entlangfahren. Ich würde auf einem Dromedar durch die Sahara reiten, unter freiem Himmel schlafen und sehr viel Sand sehen und spüren. Sofort fühlte ich mich so lebendig und unbeschwert, wie seit vielen Jahren nicht mehr.

Eine liebe Freundin schickte mir noch das kleinste Vokabelheft der Welt mit auf die Reise: 

Inshallah: So Gott will! (wenn etwas bevorsteht)

Allhamdulilah: Gott sei Dank! (wenn etwas vorbei ist)

Salam aleikum: Friede sei mit dir! ( Die/der Erste, die/der grüßt)

Aleikum salam: und auch mit dir sei der Friede! (Die/der Zweite, die/der grüßt)

chokran: Danke!

So bestens vorbereitet und offen für alles, was mich in Nordafrika erwartet, sitze ich an einem frühen Freitagmorgen Anfang Februar in Frankfurt am Flughafen. Zum ersten Mal seit mehr als 25 Jahren reise ich wieder alleine, schon das ein prickelndes Gefühl.

Ein Frauenthema drängt sich am Flughafen dann auf, das ich eigentlich für diesen Monat für überwunden gehalten habe: meine Periode. Pünktlich zum Abflug beginne ich zu bluten. Ich nehme es mit Würde, auch wenn die Ausmaße seit einiger Zeit sehr anspruchsvoll sind, und denke bei mir, der Reisestress wird sich schon hemmend auswirken. Als erfahrene Perimenopausenfrau habe ich ausreichend Material eingepackt (inkl. Hundekottüten für die Wüste) und mich mental auf den Fall der Fälle vorbereitet. Schließlich habe ich ja noch 5 Tage, zwar reisend, doch immerhin in Reichweite von Toiletten und Duschen, bis es endgültig in die Wüste geht.

Im Flieger lese ich die Anthologie ‚Marokko im Handgepäck‘, deren einzelne Geschichten und Berichte erst während und nach der Reise so wirklich Anklang bei meinen eigenen Bildern und Wahrnehmungen finden sollten.

Das Einreiseprocedere am Flughafen von Marrakech ist langatmig und ich bekomme eine erste Idee davon, was diese andere Mentalität ausmacht, die mich im Norden Afrikas erwarten sollte.

Ankunft in Marrakesch

Eingang Flughafen Marrakesch

Noch im Flughafen von Marrakesch tausche ich Geld, um Wasser und Kleinigkeiten bezahlen zu können.  Ich habe die Kreditkarte von meiner Bank auch für Afrika freischalten lassen, doch sicherlich kann man in der Medina, wo wir ja wohnen werden, nicht in jedem kleinen Laden auch mit Kreditkarte zahlen. (Später stelle ich fest, dass es selbst in der Medina Wechselstuben und Geldautomaten gibt, die einen fairen Kurs anbieten.)

Auf dem Flughafenvorplatz ist es warm, ja fast heiß, und ich bin dankbar für einen Schattenplatz, von dem aus ich in Ruhe all die marokkanischen Fahrer der Hotels und die Reisenden beobachten kann, die sich hier suchen und finden. Es kostet mich viel Beherrschung, nicht sofort offen loszufotografieren, aber ich bin ja in einer anderen Kultur angekommen und weiß, dass das hemmungslose Ablichten von fremden Menschen hier nicht erwünscht ist. 

Was aber dringend erwünscht ist, ist Französisch. Das merke ich sofort an den Schildern, die die Fahrer hochhalten, und den Gesprächsfetzen, die ich aufschnappe. Also spreche auch ich meinen Fahrer in meinem besten Duolingo-Französisch an und werde tatsächlich verstanden und mit einem freundlichen Lächeln willkommen geheißen. Drei weitere Frauen meiner zukünftigen Reisegruppe waren anscheinend mit mir im Flieger angekommen, und so ist unsere Gruppe erstmal komplett und unser Fahrer bahnt sich geschickt seinen Weg durch den Verkehr aus Mopeds, Eselskarren Mini-Moto-Lastern und Autos. Wir alle sind zum ersten Mal in Marokko und rasch versiegen unsere Gespräche, und ich sauge die Fremdheit des Landes und der Menschen auf der Fahrt zur Medina in mir auf.

Der Fahrer hält an einer belebten Straße, und ein altes, hageres Männlein mit Handkarren erscheint. Die beiden tauschen sich kurz aus und staunend sehen wir zu, wie unser Gepäck etwas ungeschickt und mühevoll auf dem scheinbar viel zu kleinen Karren gestapelt und mit einem dünnen Schnürchen festgezurrt wird. Wir bekommen die Anweisung, ihm zu folgen, und schon tauchen wir ein in ein lautes, trubeliges Gewirr von Menschen, Mopeds und Pferdekutschen. Wir werden von unserem Träger angewiesen, unsere Rucksäcke vorne zu tragen, und folgen ihm direkt durchs Getümmel, vorbei an Cafés, Wechselstuben und Verkaufsständen jeglicher Art. Wir sehen die ersten Schlangenbeschwörer auf dem Boden knien, Schwarzafrikaner mit dem klassischen Sortiment der fliegenden Händler, aber auch Musikanten, Safthändler, Tuchverkäufer und und und. Alles ist laut und bunt. Im Gedränge muss ich sehr aufpassen, vor lauter Sehen und Staunen unseren Träger nicht aus den Augen zu verlieren. Wir überqueren den Djemaa el Fnaa (Platz der Gehängten), das Herzstück der Medina und vielleicht sogar von Marrakesch, und tauchen kopfüber ein in dieses wundervolle fremde Land Marokko.

Unser Riad ist keine Steinwurfweite entfernt vom Djemaa el Fnaa, erreichbar durch immer schmaler werdende, kühle Gassen, die von den hohen Steinmauern der Häuser und Riads der Medina gesäumt werden. So schmal werden die Gassen, dass der Handkarren nur noch mit Mühe hindurchgezwängt wird. Wir erreichen unser Riad „Andalla“ hinter einem schönen schmiedeeisernen Tor in einer Sackgasse, an deren Ende noch die Folgen des schweren Erdbebens zu sehen sind.

Im Riad werden wir von einer jüngeren Frau herzlich empfangen und nach wenigen Minuten sitzen wir schon bei unserem ersten leckeren Minztee und feinem Gebäck in der wundervollen, von oben lichtdurchfluteten Empfangshalle unserer ersten Unterkunft. Auch hier ist Französisch die Sprache der Wahl und schon bald sind die Anmeldeformalitäten erledigt und wir können unsere Zimmer bestaunen. Und wenn ich Bestaunen schreibe, dann meine ich Bestaunen! Ich fühle mich wie in einem Märchen aus tausend und einer Nacht: Unsere Zimmer, jeweils 4 auf einer Etage, sind auf einer Galerie angeordnet, die von einem Geländer geschützt nach innen offen ist, so dass man hinunter ins Foyer wie in einen Innenhof schauen kann. Die Zimmer sind hinter schweren Holztüren verborgen, die mit einem Eisenriegel versperrt sind, dahinter ein schwerer, in meinem Fall weinroter Vorhang. Durch ein Fensterchen direkt neben meinem Bett kommt Licht vom Gang herein. Es ist mit einem Gitter versehen, so dass ich Luft und Licht getrost einlassen kann. Ich entdecke ein großes Doppelbett und ein Einzelbett mit wunderschönen Tagesdecken, schwere dunkle Holzmöbel, eine hohe Decke und ein Bad, abgetrennt auch durch einen schweren Vorhang, mit traumhaften Fliesen und Keramik, so schön, dass ich denke, ich würde träumen. Ein kleines Fensterchen im Bad lässt Licht und den Klangteppich des Djemaa el Fnaa herein: umwerfend!

 

Wir sind die Ersten unserer Reisegruppe im Riad, und noch bevor die offizielle Begrüßung durch die Reiseleiterin erfolgen soll, wagen wir uns hinaus in die Souks der Medina, denn wir alle wollen Wasser kaufen. Es ist unser erstes Abenteuer und wir lernen unsere erste Lektion: Keinesfalls einfach nehmen und kaufen, sondern nach dem Preis fragen und eine Idee haben, wie viel man zahlen möchte. Der Preis des gekauften Wassers schwankt zwischen 25 Dirham für 1l und 12 Dirham für 5l. Ein Dirham entsprich in etwa 10 Cent. Zurückhaltung beim Bestaunen der Waren ist ebenfalls ratsam, will man nicht ständig in Verkaufsgespräche verwickelt werden. Alles in allem ist mein erster Eindruck aber um so viel positiver, als es die Beschreibung der Souks in meinem älteren Reiseführer hat vermuten lassen. – Womit ich auch nicht gerechnet habe, sind die Katzen. Vor allem Katzenkinder überall: gesunde und kranke, scheue und aufdringliche, hungrige und gepflegte Katzen – überall liegen und streunen sie herum.
Es gibt so viel Schönes hier auf engstem Raum: Schmuck, Taschen, Tücher, Seifen, Gewürze, Schuhe und Leckereien überfluteten meine Sinne und ich komme mit dem diskreten Fotografieren kaum den anderen hinterher. Diskret deshalb, weil das Fotografieren der Waren sofort zur Geschäftsanbahnung genutzt wird und es eben in arabischen Ländern noch immer als unschicklich gilt, Menschen ungefragt zu fotografieren.

Unsere Reiseleiterin Sâbin findet uns nach unserem Altstadtbummel staunend auf der Dachterrasse mit Blick auf den Djemaa el-Fnaa und den Mittleren Atlas.

Nach einem ausgiebigen Mahl (natürlich Tahine und salad maroccain) liege ich auf meinem Bett, lasse die erste Vorstellungsrunde unserer Gruppe Revue passieren und lasse mich vom fremden Klang der Männergespräche in unserem Innenhof und den Klängen vom Platz der Gehängten in den Schlaf tragen.

Tag 2 Anima Garden

Das Schöne an unserem Riad ist, dass man zwar für sich in seinem Zimmer, doch akustisch mit den anderen Bewohner-innen verbunden ist, wenn man das Fenster zur Galerie offen hat. So höre ich schon beim Ruf des Muezzins am nächsten Morgen, dass meine Zimmernachbarinnen wach sind. Ich praktiziere den Sonnengruß auf dem Teppich, ausgerichtet auf mein kleines Fensterchen, und spüre, wie gut mir dieses Ritual tut, zu dem ich zuhause leider nur viel zu selten komme. Ich habe noch Zeit auf der Dachterrasse, das Erwachen der Medina bei Sonnenaufgang und Vogelgezwitscher tief in mich aufzunehmen.

Wie schön ist es, gemeinsam zu frühstücken! Ich genieße all die Leckereien, den schwarze Café, Minztee und die Gespräche der anderen. Unsere Schweizer Reiseleiterin, gibt uns einen kurzen Abriss über das Tagesprogramm: Kurzer Fußmarsch an den Rand der Medina, Fahrt zum Anima Garden von André Heller und am Abend dann Essen in den Souks. Schon am ersten gemeinsamen Tag ist klar: Es gibt ein Programm, aber wir haben viel Raum für uns und müssen nicht ständig gemeinsam als Gruppe unterwegs sein. Auch haben wir viel Raum und Zeit, die Dinge auf uns wirken zu lassen, und werden von Sâbin nicht überschüttet mit Zahlen, Daten und historischen Anekdoten. (Dafür gibt es Google und im Riad WLAN, wenn man mehr wissen will.) So mag ich das und mir bleibt viel Zeit zum Fotografieren, was meine Art ist, mich den Dingen zu nähern, genau hinzusehen und das Gesehene und Erlebte am Abend und vor allem später wieder und wieder hervorzuholen und hinzuspüren.

Marrakesch

Wir laufen über den Djemaa el-Fnaa, der am Morgen wieder ein ganz anderes Gesicht zeigt als am Nachmittag oder gar am Abend. Morgens ist er für den Verkehr geöffnet und es fahren die kuriosesten Fahrzeuge, Moped-Lkws und Ähnliches an uns vorbei, als wir Richtung Koutoubia-Moschee, der berühmteste Moschee Marrakesch‘ aus dem 12. Jh. mit Garten, die stark vom Erdbeben 2023 betroffen wurde, unterwegs sind. Die Händler sind zwar noch etwas träge, aber auch schon am Vormittag sind einige Stände aufgebaut.
Die Moschee ist unser Anhaltspunkt, wenn wir in den Souks unterwegs sind, und hilft mir, im Gewirr der Gassen nicht völlig die Orientierung zu verlieren. Heute treffen wir hier unseren Fahrer, der uns mit einem Kleinbus über die Route d-Ourika zu einem der schönsten Gärten der Welt bringen soll. Schon alleine die Fahrt ist beeindruckend: Wir verlassen rasch Marrakesh und fahren durch die Vororte in Richtung Mittleren Atlas, vorbei an staubigen Ebenen, auf denen der Plastikmüll vom Wind verweht wird, und tristen Steinbauten. An der Straße reihen sich immer wieder Stände und Geschäfte, meist Handwerk, aber auch Metzger, Obst- und Gemüsehändler. Mich faszinieren die kleinen Lebensmitttelläden in kleinen, garagenähnlichen Bauten oder im Untergeschoss der würfeligen, flachen Wohnhäuser, die mit einfach allem, was man sich vorstellen kann, bis an die Decke vollgestopft sind. 

Tag 2: Anima Garden von André Heller

أنيما (حديقة أندريه هيلر)

ANIMA wird als einer der schönsten und fantasievollsten Gärten der Welt beschrieben. Die drei Hektar große, opulente, botanische Inszenierung des Universalkünstlers André Heller ist ein magischer Ort der Sinnlichkeit, des Staunens, der Kontemplation, der Freude, der Heilung und der Inspiration für Menschen jeden Alters, die Unvergessliches erleben wollen.

Wir erkunden den Garten auf eigene Faust. Ich für meinen Teil sogar ohne jegliche Vorinformation dafür voller Neugierde, was mich wohl erwartet. Schmale, verschlungene Pfade, gesäumt von üppigen Pflanzen, Bäumen, Sträuchern, Blumen und Gräsern, dazwischen Skulpturen, teils naiv und farbig, teils aus Naturmaterialien, aber auch handwerklich aufwendige Mosaike oder Holztore, wie sie hier in Marrakesh typisch sind. Das alles verschmilzt zu einem Labyrinth der Sinnlichkeit. Ich wandle von einem Traum in den Nächsten und überall laden Hängematten oder Sitzgelegenheiten zum Verweilen ein. Man kann hier wundervoll für sich sein und doch immer wieder jemanden treffen, da die Wege sich kreuzen, im Kreis herumführen und immer wieder neue Perspektiven und Begegnungen möglich machen. Die Krönung aber ist die Dachterrasse des Restaurants. Sie alleine wäre einen Besuch wert gewesen: Ich blicke über den Garten, aber auch über eine fruchtige Ebene mit zahlreichen Palmen hinweg auf den mittleren Atlas mit seinen Schneegipfeln und fühle mich dem Himmel so nah. Die Terrasse ist mit vielen Kissen auf langen Steinbänken von einer flachen Mauer umgeben. Kleine Tische laden zum Verweilen bei Minztee und kleinen, feinen Speisen ein. Die Sonne bringt die Farben zum Leuchten und ich möchte ewig hier sitzen und den Blick schweifen lassen.

Unsere Tafel ist im Halbschatten zwischen Garten und Restaurant „Café Paul Bowles“ gedeckt und Sabin hat uns ein feines marokkanisches Menü bestellt, das einfach und leicht ist und dank der frischen Zutaten, die alle aus dem Anima Garden selbst oder der umgebenden Region Ourika kommen, sowie den feinen marokkanischen Gewürzen unglaublich mundet.

Salade marocaine, Msemmen (marokkanische, blättrige Teigfladen) mit Olivenöl und Pâtissierie Marocaine. Danach natürlich herrlich frischer Minztee, wie immer stilvoll serviert.

Im Shop des Gartens kann man Tücher, Schmuck und kleinere Handwerkserzeugnisse erwerben, die teils von marokkanischen Frauen produziert wurden, wie uns die Verkäuferin erzählt.

Immer wieder findet man in Marrakesch, aber auch auf dem Weg nach Zagora, Produkte aus Kooperativen, die explizit Frauen unterstützen. Teils sind diese Arganöl-Erzeugnisse oder Seidentücher zwar für marokkanische Verhältnisse sehr teuer, aber wenn dies wirklich die Frauen und insbesondere die Berberfrauen unterstützt, kaufe ich gerne meine Souvenirs einige Dirhams teurer.

Überhaupt das Kaufen, das ist das zentrale Thema in unseren Marrakesch-Tagen: Wer hat was, wo, zu welchem Preis, welcher Qualität und vor allem durch welche Verhandlungstaktik erstanden? Die Souks sind voll mit unglaublich schönen Dingen. Es gibt kaum etwas, was man mit den Händen herstellen kann, das hier nicht angeboten wird. Die Gassen verändern aber auch ihren Charakter je nach Tageszeit. Dominieren morgens noch die Lebensmittel, Gemüse und Dinge für den Alltagsgebrauch, so werden abends noch mehr Souvenirs, aber auch Imbisse aller Art angeboten. Hätte ich nicht allergrößten Respekt vor Reisedurchfall, würde ich mich hier quer durch die Gassen naschen.

Am Abend führt uns Sâbîn heute in einen Tahine-Imbiss, der mit seinen kahlen Fliesen den Charme einer Dönerbude hat. In Windeseile ist ein langer Tisch für uns hergerichtet und meine Tahine Aubergine spicé à la Carte mundet ganz vorzüglich. Der Abend endet auf der Dachterrasse am Rande der Medina im vierten Stock eines beeindruckenden Lokals. Architektur, Farbe, Formen, Pflanzen und Musik betören hier abends die Sinne, so dass Alkohol eigentlich völlig überflüssig ist. So ist es auch nicht weiter schade, dass in den wenigen Lokalen, die Alkohol verkaufen, dieser so teuer ist, dass ich bis auf das eine oder andere Casablanca-Bier gerne verzichte. 

 

Tag 3: Das Café des Jardin Majorelle & Medina

Unseren spontanen und außerplanmäßigen Besuch im Jardin Majorelle von Yves Saint Laurent, den wir entgegen Sâbins Rat, ins Programm aufnehmen, verlegen wir am nächsten Morgen aufgrund des großen Besucherandrangs ins angrenzende blaue Café. Hier haben wir das Blau im Gartencafé in der Morgensonne ganz für uns und können es bei einer Tasse Minztee oder Café sehr entspannt genießen.

Der Rückweg zu Fuß durch die entlegenen Souks zurück zu unserer Unterkunft in der Medina gehört für mich zu den eindrücklichsten Erlebnissen der Marrakesch-Tage. Hier sind die Obst- und Gemüsehändler. Hier kaufen die einheimischen Frauen Gewürze und Kräuter, Schafsköpfe und -füße, Brot und vieles mehr für den täglichen Bedarf. Einige Gassen weiter sind die Gerber und Träger mit Karren, die das Leder zu den Schustern bringen. Holzhandwerk, Teppichhändler und Stoffwaren wie Tücher und Decken wechseln sich ab mit Gewürzhändlern und drogerieähnlichen Läden mit Seifen, Cremes und Heilkräutern. Alles wirkt, als wäre man in der Zeit um hunderte Jahre zurückversetzt. Hier spricht mich der Physiotherapeut von Zirkus Roncalli an und erzählt mir in perfektem Deutsch mit Ruhrpott-Anklängen die Kurzversion seiner Lebensgeschichte. Seine Waren, die er feilbietet, sind seine Hände. Er möchte mir gerne den Nacken behandeln und dabei aus seinem spannenden Leben erzählen, doch leider bin ich nicht alleine unterwegs und meine Begleiterin ist von seinem Charme und seinen Geschichten nicht begeistert, und so muss ich weitereilen. Wenige Ecken weiter tauchen wir ein in feine Geschäfte mit riesigen Lampen, Schalen, Tablets und allem auch nur erdenklichem Kunsthandwerk aus Messing und Silber, das wirklich geschmackvoll und hochwertig ist, aber keinesfalls mehr in mein Fluggepäck passt. Das Angebot wiederholt sich in immer neuen Variationen, Farben und Formen, und je gleichförmiger es wird, desto mehr nähern wir uns dem Djemaa el Fnaa.

Mit etwas Glück und Google-Maps kommen wir gerade noch rechtzeitig zu unserem Viertel zurück, um noch vor der offiziellen Stadtführung, die heute auf dem Programm steht, die erstandenen köstlich duftenden, frischen Orangen zusammen mit einem leckeren  Fladenbrot vom Laden um die Ecke zu genießen und ein kleines, bitter notwendiges Nickerchen zu machen.

Bei unserer Führung durch die Souks, die am Nachmittag auf dem offiziellen Programm steht, bekommen wir von unserem Guide Sufian dann das System der Medina und die Bedeutung der Gassen eindrücklich erklärt. Er führt uns raschen Schrittes in die hintersten Ecken der ursprünglichen Handwerker-Souks, zeigt uns versteckte, edel hergerichtete Riads, erklärt das Nebeneinander von Hamam und Bäckerei (Wärmenutzung) und führt uns zur beeindruckenden alten Koranschule Medersa Ben Youssef. Er macht uns auch auf den Unterschied zwischen billiger Touristenware und sehr guter Qualität tief in den verwinkelten Gassen der Souks aufmerksam. Denn beileibe nicht jeder Verkäufer hier hat nur billige Touristenware. In der Medina kann man wirklich hochwertige Handwerkserzeugnisse kaufen, wenn man bereit ist, Zeit mitzubringen und sich am Ende noch als einfallsreiche Verhandlungspartnerin beweist.

Meine Souvenirs habe ich alle nach ausführlichen Preisverhandlungen erstanden und möchte diese Erfahrung nicht missen, ganz gleich, ob ich am Ende nicht doch noch mehr gezahlt habe, als die Dinge wert sind. Ich habe zumindest das Gefühl, dass ich mich gut geschlagen habe, und bin stolz auf mich, dass ich mich auf dieses Spiel eingelassen habe.

Der letzte Abend in der Medina gehört dem wunderschönen Restaurant Le Jardin in der Rue Amesfah. Hier genießen wir unter freiem Himmel zwischen saftigem Grün feine marokkanische Speisen à la carte und ich bin wie meist sehr glücklich mit meiner Gemüse-Tahine, heute mal mit Couscous.

Auf dem Rückweg queren wir nochmals den Platz der Gehängten und können das laute und wahrlich sinnliche Treiben, das jetzt Nachts von Gauklern, Musikanten und den Garküchen bestimmt wird, ein letztes Mal bestaunen.

Mein letzter Gang ist auch an diesem Tag noch hoch hinauf auf die Dachterrasse unseres Riads, von wo man sowohl den Platz mit seinen warmen Lichtern sieht als auch den Klang der Flöten und Gitarren, der vom leichten Wind hinaufgetragen wird. Ich nehme schon mal Abschied von der Nachtkulisse und werde auch am nächsten Morgen nach meinem Morgenritual mit Sonnengruss und kurzer Meditation hier oben den Morgen begrüßen und mich von der Stadt verabschieden, bevor wir uns mit gepackten Koffern zum letzten Frühstück versammeln, um dann – endlich – weiter Richtung Zagora aufzubrechen.

Tag 4: Über den Atlas

Zwischen Marrakesch und der Sahara liegt der Mittlere Atlas. Mit einem gemieteten Kleinbus samt marokkanischem Fahrer fahren wir los und wollen heute als Zwischenziel die historische Berberstadt Ait Ben Haddou erreichen. Die Fahrt über den Atlas ist eine schöne Möglichkeit, den Süden Marokkos in seinen vielen Facetten sehr bequem im Schnelldurchlauf zu besichtigen. Wir fahren aus Marrakesch in Richtung Osten und schon bald erreichen wir eine karge Landschaft mit nur einzelnen versprengten Häusern, knautschigen Tälern und kilometerlangen Serpentinen, die uns bis auf fast 2300m hinaufführen. Vereinzelt sehen wir Ziegenhirten und viele Männer, Frauen und Kinder zu Fuß unterwegs von oder zu den größeren Dörfern mit Händlern und Schulen.

Am Nachmittag erreichen wir Ait Ben Haddou und unsere Unterkunft direkt gegenüber der Filmkulisse von Game of Thrones. Mein Zimmer hat den Charme einer tibetischen Unterkunft: dicke Lehmwände, an der Decke Stroh, verklebt und abgedichtet ebenfalls mit Lehm. Bunte alte Teppiche am Boden. Eine dicke, weiche Matratze mit prallem, großem Kopfkissen und Zudecke. Ansonsten ist das Zimmer leer bis auf ein wackeliges, leeres Holzregal. Der Wassermangel, auf den uns Sâbin aufmerksam gemacht hat, ist hier deutlich zu spüren: Aus dem Wasserhahn kommt nur ein dünner Strahl leicht salzigen Wassers. Toilette und Dusche wirken, als ob sie schon lange nicht mehr benutzt worden wären, und so halte ich es hier auch: Ich dusche nicht, habe ich doch erst heute Morgen in Marrakesch geduscht und war nur im Bus gesessen, und auch die Toilettenspülung benutze ich nur kurz, wenn ich aus dem Zimmer gehe.

Die historische Kasbah ist leider bis in den Abend fest in der Hand der Souvenirhändler. Sie haben sich den ganzen Weg durch die Gassen mit ihren Waren platziert und versuchen hartnäckig, mit uns auf Englisch und Französisch ins Gespräch zu kommen. Where are you from? Oben angelangt erwartet uns in der Abendsonne ein fantastischer Blick in alle Himmelsrichtungen.

Das Abendessen im Riad müssen wir ausnahmsweise drinnen einnehmen, da ein frischer Wind über die Terrasse weht, der schon eine kleine Vorstellung davon macht, wie kalt es dann nachts in der Wüste sein kann.

Heute Abend sind die meisten schon etwas aufgeregt: Alles kreist um die letzten Anweisungen von Sâbin für unseren Wüstentrip. Ausführlich erklärt sie uns nochmals den Ablauf der nächsten Tage und was in der Wüste, mit den Kamelen und unseren Guids zu beachten ist und was wir tunlichst vermeiden sollen. Trotz der ausgelassenen Stimmung merkt man, dass es langsam ernst wird. Die Nacht unter meinen dicken Federbetten ist wild und erst als der Morgen schon graut, falle ich in einen tiefen Schlaf.

Nirgends auf meiner Reise ist der Ruf des Muezzin so melodisch wie hier, wo er sogar zurückgeworfen von den Mauern der Kasbah mit seinem Echo im Duett singt. Der Morgen ist eiskalt, doch der Blick von der Frühstücksterrasse ist es wert, ein bisschen zu frieren: Die Morgensonne weckt das Tal und hält es in bläulich-rosa Farben. Störche gleiten über dem Fluss und am Fuß der historischen Siedlung hat ein Filmteam mit zig LKWs, Quads und etlichen Drohnen Aufstellung genommen. Wir frühstücken mit Joghurt mit Honig, Orangensaft, Pfannkuchen, Fladenbrot und Honig, dazu Kaffee und Minztee. 🙂

Die Fahrt nach Zagora vergeht wie im Flug. Unsere Tee- und Toilettenpausen sind einfach wunderbar: immer frischer Minztee, mit oder ohne Zucker, ganz nach Wunsch, dazu salzige Nüsse und Mandeln und Datteln. Diese unglaublich leckere, aromatische Mischung werde ich immer mit dieser Reise verbinden und nie vergessen.

Und dann sind wir in Zagora und checken im Le Fibule ein, einem Hotel wie aus tausend und einer Nacht. Bis zum Schluss habe ich hier nicht alle Sitzecken und Nischen erkundet, geschweige denn auch nur annähernd alle Möglichkeiten, hier zu sein, ausgekostet. Unser Programm ist straff: Wir wollen Wüstenkleider kaufen, das letzte Briefing für die Wüste abhalten und wohlüberlegt das kleine Gepäck für unseren Wüstentrip packen.

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